Auf der PACITA-Konferenz (25.-27. Februar 2015 Berlin) wurde von der Projektgruppe ein ambitioniertes Manifest ?Expanding Knowledge-Based Policy-Making on Science, Technology and Innovation? veröffentlicht. Die beflügelnde Nachricht dieses Manifest besteht darin, TA als europäisches und europäisierendes Projekt zu betrachten. In der Zwischenzeit hat sich nicht nur die Landschaft europäischer TA-Institutionen vervielfältigt, sondern sie haben zugleich das Selbstbewusstsein gewonnen, im Sinne einer Weiterentwicklung Europas zu wirken und das Netzwerk weiter regional auszubauen und zu vertiefen. Das ist sehr zu begrüßen, denn gerade in Zeiten, in denen dem europäischen Projekt viele Gefahren, gar Schlünde drohen, bedarf es einer Rückbesinnung auf hart erkämpfte Tugenden. Eine davon ist die Einwurzelung einer demokratischen Kultur politischen Entscheidens. Diese trifft in den verschiedenen Ländern Europas auf faszinierend und zugleich verstörend differente institutionelle wie kulturelle Randbedingungen. Vor diesem Hintergrund ist es sehr überraschend, dass dem ?Wissen? in diesem Manifest keine Differenzierung zuteil wird. Das Postulat lautet ?TA can through strong knowledge sharing and collaboration contribute to knowledge exchange and synergies, which provide for widespread use of the independent and knowledge-based advice from TA. Countries should help each other by sharing TA knowledge and outcomes? Und weiter: ?For Europe to develop strong knowledge-based and democratic decision-making TA needs to be implemented in all European states.? Aber was ist dieses TA-Wissen und muss man nicht davon ausgehen, dass es im Angesicht unterschiedlicher kulturell-institutioneller Systeme auch systematisch ein jeweils verschiedenes Wissen sein muss? Das Grundanliegen des Manifests teilend, möchte ich gleichwohl die Sorge artikulieren, dass ein solcher Europäisierungsprozess von TA nicht ohne eine Europäisierung im TA-Wissen vorangetrieben werden kann.
Nun ist freilich die Entwicklung eines differenzierteren Wissenskonzepts keine leichte Aufgabe. Dies verdankt sich zum einen dem Umstand, dass aktuelle Entwicklungsbedingungen (insbesondere Nichtwissen) neue epistemische Herausforderungen provozieren, zum anderen aber ebenso der spezifischen Kommunikationssituation von TA. TA stellt Expertise für politische und in wachsendem Maße öffentlich-politische Debatten zur Verfügung. Um also den Gedanken eines differenzierteren Wissenskonzepts zu entwickeln, ist an die Bedeutung von Öffentlichkeit zu erinnern. Demokratien als politische Lebens- und Entscheidungsform bedürfen strukturell einer funktionierenden Öffentlichkeit. Öffentlichkeit stellt den Artikulationsraum von Wissen dar, welcher es erlaubt, diskursiv mögliche Welten zu entwerfen, abzuwägen und öffentliche Meinungen zu prägen. Die Öffentlichkeiten Europas sind verschieden. So sind die Regeln der Medienfreiheit in ganz unterschiedlicher Form institutionalisiert, zum anderen treten neben die typischen Muster der Bildung von Öffentlichkeit durch Medien solche der Bewegungsöffentlichkeit oder zivilgesellschaftlichen Partizipation. Europa ist hier fragmentiert. Manche Staaten können auf eine lange Tradition politischer Öffentlichkeit zurückblicken, in anderen entsteht sie erst und muss sich immer wieder autoritären Zugriffen erwehren. Neben diese Fragen politischer Grundordnung tritt zudem der technologie-getriebene Umstand, dass gegenwärtig ein neuerlicher ?Strukturwandel der Öffentlichkeit? (Habermas 2006) zu beobachten ist, bei dem sich die Kommunikation in der Öffentlichkeit durch neue Medien horizontal ausdehnt und fragmentiert. Durch eine so vorangetriebene ?Entformalisierung von Öffentlichkeit? (Habermas 2006, S. 4) wird tendenziell deren Bündelungsfunktion unterlaufen. Die Eröffnung neuer Chancen öffentlicher Kommunikation ist mit der Nebenfolge verbunden, Errungenschaften traditionaler Öffentlichkeit in Frage zu stellen (ebd.).
Rückt man sich dieses Entwicklungspanorama von politischen Öffentlichkeiten in Europa vor Augen, dann wächst die Verwunderung darüber, dass die Herausforderung einer Europäisierung von TA, wie sie im PACITA-Manifesto adressiert werden, sich nicht auch in gesondert artikulierten neuen Selbstansprüchen an die Genese und Verteilung von TA-Wissen niederschlagen. TA-Expertise ist Expertise für Prozesse politischen Entscheidens. Mit gutem Grund kann man deshalb dafür werben, dass eine Europäisierung von TA nicht allein in den herkömmlichen Zirkeln politischen Beratens in der Nähe zum Entscheidungszentrum stattfinden, sondern darüber hinaus ebenso zur Bildung kritischer Öffentlichkeiten beitragen kann. Andernfalls ist die Gefahr groß, dass TA nur zum verlängerten technokratischen Arm von Entscheidungsbürokratien wird. TA-Expertise stellt explizit gewichtetes Wissen dar. TA-Expertise benennt in ihrer besten Form wertgebundene Entscheidungsoptionen über Innovationen. In den fragmentierten Kommunikationswirklichkeiten neuer Öffentlichkeiten bedeutet dies eine elementare Herausforderung an die Erzeugung wie Kommunikation von Nebenfolgenwissen. Wie können Nichtwissen und Unsicherheit kommunikabel gemacht werden? Welche Perspektiven halten hier die Autor_innen das Manifests bereit?
Zudem ist abschließend der klare Schulterschluss des Manifests an die Debatten um Responsible Research and Innovation (RRI) mit großer Wachsamkeit zu betrachten. Denn RRI kann in zwei Varianten verstanden werden. In der einen Variante wirkt der Verweis auf Verantwortung gleichsam als ?Diskursblocker?. Denn es ist diskursiv eine hohe Hürde, einem Innovationsakteur ernsthaft mangelnde Verantwortungsbereitschaft zu attestieren. In dieser technokratischen Lesart von RRI soll unter Hinweis auf die der EU sich stellenden wissensökonomischen Herausforderungen der kritische Diskurs über Innovationen rasch geschlossen werden, um freie Bahn für freie Innovateure zu schaffen. Dabei ist es doch gerade diese Fähigkeit zu einer differenzierten kulturell-institutionellen Einbettung von Innovationen, welche die europäische Innovationslandschaft in der Welt besonders hervorhebt und z.B. eine differenzierte Umsetzung des Vorsorgeprinzips in unterschiedlichen Technologiefeldern ermöglichte. Deshalb gibt es RRI auch in einer demokratisierenden Lesart. Da stellt RRI für Innovateure wie Gesellschaft eine große Herausforderung dar. Denn so gesehen nötigt der Hinweis auf die Verantwortlichkeit im Innovationshandeln dazu, Grundfragen guten Lebens und der Entwicklung von Gesellschaften als integralen Bestandteil von Innovationsprozessen mit zu denken und in Architekturen der Verantwortlichkeit zu übersetzen. Kurzum: Der Verweis auf RRI kann für TA dann fruchtbar sein, wenn sich TA der demokratisierenden Lesart verpflichtet und sich zugleich kritisch gegenüber technokratischen Lesarten dieses Leitbilds verhält.
Habermas, J. (2006): Ein avantgardistischer Spürsinn für Relevanzen. Was den Intellektuellen auszeichnet. Dankesrede bei der Entgegennahme des Bruno-Kreisky-Preises. Wien (Renner Institut, MS 7 S.).Benutzer | Beiträge | Datum |
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