Stop, Look, Listen and Stay Tuned! Wie kann TA öffentliches Interesse an komplexen Themen wecken und erhalten?
In meinem Vortrag im Rahmen der NTA6-TA14 hatte ich gefragt, wie TA öffentliches Interesse an komplexen Themen wecken und erhalten kann. TA und RRI, so hieß es im Call, zielen darauf ab, technische Innovationen an partizipativ entwickelten Leitvisionen einer gesellschaftlich wünschbaren Zukunft zu orientieren. Angesichts der Komplexität von TA-Themen ? z.B. aktuell die synthetische Biologie oder die Nanotechnologie ? ist kaum zu erwarten, dass es hierzu in der Öffentlichkeit Vorstellungen wünschbarer Zukünfte gibt. Bevor man sich mit solchen Themen beschäftigt, müsste man sich zunächst dafür interessieren. Daher steht zu fragen: Wie ist öffentliches Interesse an komplexen Themen zu wecken?
Diese Frage wird von der TA üblicherweise mit einem Griff in den Instrumentenkoffer beantwortet: Interesse an komplexen Themen zu wecken, wird als Element partizipativer Verfahren aufgefasst. Eine im Lichte dieser Frage erhellende Kritik hierzu hat Alexander Bogner (2012) mit dem Stichwort lab participation vorgelegt. Solche Verfahren, so der Kern dieser Analyse, würden nach strikt kontrollierten Bedingungen organisiert und seien so gegenüber öffentlich ausgetragenen Kontroversen abgeschlossen - was in ihnen geschieht, wird aus der Öffentlichkeit heraus- und in ein dem Labor ähnliches Setting hineingezogen. Über die an ihnen Beteiligten hinaus, vermögen diese Verfahren kaum öffentliches Interesse anzuregen.
Diese Kritik kann man zum Anlass nehmen, über Alternativen zum Wecken und Erhalten öffentlichen Interesses an komplexen Themen nachzudenken. Im Vortrag hatte ich hierzu die Praxis von ProPublica vorgestellt. ProPublica beschreibt sich selbst als ein ?non-profit newsroom that produces investigative journalism in the public interest.? Dabei geht ProPublica geradezu klassisch einer Funktion der Vierten Gewalt nach. Doch sie belässt es nicht bei bloßen Veröffentlichungen Empörung erregender Verstöße gegen das öffentliche Interesse, sondern nimmt neben der investigativen Recherche die Wahl des geeigneten Mediums für die richtige Zielgruppe zum richtigen Zeitpunkt genauso wichtig. ProPublica verschenkt etwa ihre Recherchen an ausgesuchte andere Medien, von denen angenommen wird, sie würden den Einfluss maximieren. Ist dies noch als eine besonders elaborierte Form einer modernen Vierten Gewalt aufzufassen, so ist doch nicht zu übersehen, dass Öffentlichkeit hier zwar eine notwendige Zwischenstufe auf dem Weg zur Zielerreichung darstellt, es sich aber nicht um eine Öffentlichkeitsbeteiligung im engeren Sinne handelt.
Öffentlichkeit nicht bloß als Vehikel zu nutzen, sondern herzustellen, öffentliches Interesse an komplexen Themen zu wecken und zu erhalten, steht aber ebenso auf der Agenda von ProPublica. Hierzu operiert sie mit unterschiedlichen Formaten für unterschiedliche Publika: Ein (ziemlich informativer) HipHop-Song zu Hydraulic Fracturing (»Fracking«), ein Comic und ein Broadway-Stück zu »collateralized debt obligations« (CDOs; forderungsbesicherte Schuldverschreibungen). Angenommen, solche Formate seien dazu in der Lage, Interesse an Themen dieser Art zu wecken: Gibt es aber überhaupt eine Möglichkeit, ebendies zu verstetigen? Kein mediales Kommunikationsangebot kann seine Rezeption kontrollieren. ProPublica versucht allerdings, über diese vergleichsweise niedrigschwelligen Angebote auf Weitergehendes zu »verlinken«. Ganz besonderes Augenmerk gilt dabei den Rubriken »Tools & Data« sowie »Get Involved« auf ihrer Homepage. Hier gibt es zahllose weitere Informations- und Beteiligungsmöglichkeiten. Bemerkenswert ist dabei, dass es etwa bei »Get Involved« zu allererst darum geht, sich zu informieren, zu lernen, um eine Haltung erst sukzessive entwickeln zu können. Selbstredend ist dies stets durch das gerahmt, was ProPublica als relevante Informationen erachtet. An »Tools & Data« mangelt es TA sicher nicht. Die praktischen Fragen lauten also:
- Wie könnte es TA gelingen, auf ihr reichhaltiges Informations- und Partizipationsangebot aufmerksam zu machen?
- Wie könnte eine entsprechende »Verlinkung« aussehen?
- Welche »Verlinkungen« jenseits von Verfahren gibt es bereits?
Schaut man sich die Trefferliste bei YouTube zum Suchbegriff »Technikfolgenabschätzung« an, wird die Klickzahl diesbezüglich kaum Hoffnung machen.Bei vielen dieser Videos ist der Informationsgehalt hoch und gut aufbereitet. Was fehlt, ist m.E. eine Trennung der Funktionen von Aufmerksamkeitsgenerierung und Information. ProPublicas Lösung ist nicht unumstritten. Schon in der vereinfachenden Übersetzung komplexer Inhalte in Unterhaltungsformate kann man eine unzulässige Komplexitätsreduktion sehen. Unstrittig dürfte sein, dass auf diesem Wege prinzipiell mehr vormals Uninteressierte und Unbeteiligte zu erreichen sind als in einmalig abgehaltenen und begrenzten Verfahren.
Dabei ist TA ein mehr als geeigneter Initiator, auch und gerade im Vergleich zum Investigativ-Journalismus, bei dem es schließlich immer um das Aufdecken und Beheben von Fehlverhalten geht. TA hingegen setzt auf »Multiperspektivität«, erlaubt also eine Ergebnisoffenheit, die explizit die Richtung der Meinungsbildung einschließt. Die Frage an die TA-Community lautet also, ob sie die Trennung einer Aufmerksamkeits- von einer Informationsseite grundsätzlich überzeugt. Wer dies bejaht, könnte sich an einer Diskussion darüber beteiligen, wie das anzugehen wäre, was hier mit »Verlinkung« angesprochen worden ist: Aufmerksamkeit und Interesse an komplexen Themen zu wecken UND hierüber zu weiterem (TA-)Engagement anzuregen. Eines muss noch buchstäblich in Rechnung gestellt werden: ProPublica ist stiftungsfinanziert und muss sich - bis auf Weiteres - um ihre finanzielle Ausstattung keine Sorgen machen. Im Rahmen von »Get Involved« stehen mitunter namhafte Journalisten der New York Times oder des Guardian für Chats zur Verfügung, die Produktion eines Broadway-Stücks dürfte viele Budgets sprengen etc. Kurzum: Schon aus finanziellen Gründen könnte keine TA-Einrichtung diese Praxis einfach kopieren. Zudem mag man es für riskant halten, dass ein so entfachtes Engagement von den ursprünglichen Initiatoren nicht mehr zu kontrollieren und potentielle Erfolge kaum noch ihnen zuzurechnen sein könnten. Nichtsdestotrotz erscheint mir eine Diskussion darüber lohnenswert, wie TA öffentliches Interesse an komplexen Themen - zumindest ergänzend zu partizipativen Verfahren - anregen und erhalten kann.
Und nicht immer spielt Geld die entscheidende Rolle. Die Ideen zu einigen Songs und Videos waren das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit Studierenden der New York University. Über solche Verbindungen verfügt auch die überdisziplinäre TA. Schließlich verbleibt noch mit Blick auf den Publikationsort dieses Beitrags zu fragen: Könnte openTA auch eine Plattform zum Wecken und Erhalten von (öffentlichem) Interesse an komplexen Themen werden?Benutzer | Beiträge | Datum |
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