Von der Technikphilosophie Hans Blumenbergs über Klimakatastrophen und Energieszenarien zum Praxistext der Politikberatung
Editorial zum Online-Neuerscheinungsdienst "ÜBERDENTAELLERRAND" (NED) Juni 2015.
Hans Blumenberg hat zwar nicht ausdrücklich eine "Philosophie der Technik" geschrieben, aber unbestritten wichtige Beiträge dazu geliefert. Ich erinnere mich noch an die Diskussion mit den ITAS-Kollegen Bernd Wingert und Ulrich Riehm über den 1981 erschienenen Aufsatz "Lebenswelt und Technisierung unter Aspekten der Phänomenologie". Auch dieser findet sich unter den 18 nun in einem Band zusammengestellten "Schriften zur Technik". Die meisten Texte stammen aus dem Nachlass. Herausgeber des 300 Seiten starken Buches sind Bernd Stiegler und Alexander Schmitz.
Nicht aus dem Nachlass, sondern aus langjährigem Vergessen werden seit einiger Zeit die Arbeiten von Gabriel Tarde (1843?1904) geholt, Zeichen eines neu erwachten soziologischen Interesses (etwa bei Bruno Latour oder Arno Bammé). Damit könnte auch die jüngste Übersetzung des erstmals 1896 in Frankreich erschienenen Fragment d?histoire future zusammenhängen, das ? durchaus bemerkenswert - seinerzeit zuerst in der Revue Internationale de Sociologie veröffentlicht worden war, und Tarde dazu gedient hatte, seine Einsichten über das soziale Zusammenleben in eine fiktive Form zu gießen. Der dramatische Höhepunkt des ?Fragments einer Geschichte der Zukunft? wird weit in der Zukunft angesiedelt. Folgen wir an dieser Stelle kurz der Zusammenfassung des Verlags: "[?] Als dann im 25. Jahrhundert die Sonne allmählich erkaltet, zieht sich eine verzweifelnde Menschheit ins wärmste Gebiet der Erdoberfläche, nach Arabien zurück. Dort, in Erwartung ihres Endes, verfällt schließlich ein charismatischer Führer auf die Idee, die Zukunft der Menschheit unter die Erde zu verlegen. Ein großes techno-humanistisches Sozialexperiment nimmt seinen Lauf, das bereits die Nutzung von Erdwärme, den Bau unterirdischer Städte und ihre Verbindung durch Untergrundbahnen imaginiert." Eine Lektüre für warme Tage, sicherlich. Das Nachwort von Eva Horn und Urs Stäeli ?Eine soziologische Spekulation? legt nahe, dass der Essay nicht nur Freizeitlektüre ist, sondern anregt, ernsthaft über sozialwissenschaftliches ?Visioneering? nachzudenken.
Thematisch verwandt, aber wesentlich gegenwartsbezogener geht es in der Dissertation von Christian Dieckhoff zu, die sich mit Energieszenarien in der wissenschaftlichen Politikberatung befasst. Der Haupttitel lautet: Modellierte Zukunft. Die Arbeit basiert auf einer umfassenden empirischen Untersuchung der Praxis der Erstellung von Energieszenarien. Dafür wurden zahlreiche leitfadenbasierte Interviews mit Modellierern solcher Szenarien geführt. Das Erkenntnisinteresse geht aber über die Konstruktion von Szenarien hinaus und zielt auch auf Energieszenarien als in der Politikberatung wirksame Wissensobjekte. Kritisch wird bemerkt, dass der Prozess der Szenarioerstellung meist im Dunkeln bleibt und häufig unklar ist, was genau mit einem Szenario ausgesagt wird und wie das Ausgesagte begründet wird. Aus diesen Defiziten ergeben sich Anforderungen hinsichtlich der Transparentmachung dieser Prozesse im Kontext wissenschaftlicher Politikberatung.
Der nächste Titel "Wissenschaftliche Politikberatung im Praxistest" hat es ganz allgemein mit Politikberatung zu tun und der Frage, was sie leisten kann. Dazu werden 12 Beiträge renommierter Autoren versammelt. Das Fazit, hält man sich an die Einleitung der Herausgeber Peter Weingart und Gerd G. Wagner, klingt letztlich recht optimistisch: "Die Erfahrungsberichte aus der Politikberatung zeigen also, dass die wissenschaftliche Politikberatung ? auch wenn ihre Praxis nicht immer den ?guten Regeln? entspricht ? doch weitgehend Anerkennung findet, denn sie vollzieht derzeit einen Paradigmenwechsel. Sie wird dem demokratischen Politikverständnis angemessener, und das ist sowohl für die Wissenschaft als auch für die Politik von Vorteil ? und somit für die Gesellschaft insgesamt." (S. 13). Der Hinweis auf einen Paradigmenwechsel macht hellhörig und die Aussicht, darüber in dem Buch Substantielles zu erfahren, klingt verlockend.
Aus einer TAB-ITAS-Perspektive macht freilich auch der Beitrag, den Ulla Burchardt, die langjährige Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages, verfasst hat, sehr neugierig. Da sie nicht mehr aktive Bundespolitikerin ist, so die Erwartung, kann sie eher aus dem Nähkästchen plaudern. Genau das verspricht der Titel ihres Beitrags "Braucht das Parlament den Rat der Wissenschaft? -Wie kann Wissenschaft nutzen? Innenansichten einer spannungsreichen Beziehung".
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