Editorial zum openTA-Online-Neuerscheinungsdienst „Über deN TAellerrand“ (NED) Mai.
Ein Beitrag von Marius Albiez
Im Mittelpunkt des monatlich erscheinenden Neuerscheinungsdienstes stehen Veröffentlichungen, die sich mit unterschiedlichen Betrachtungsgegenständen der Technikfolgenabschätzung beschäftigen. Wir werfen einen Blick auf die Automatisierung des Öffentlichen Nahverkehrs, beschäftigen uns mit Menschenbildern in den Technikwissenschaften und erfahren, welche Rolle Patente im Innovationskontext zur Zeit der Industrialisierung spielten. Die Veröffentlichungen sind via Open Access und Springerlink verfügbar.
Den Auftakt bildet der Sammelband Automatisierter ÖPNV erschienen bei Springer Vieweg als Open Access Publikation. Die Herausgeber*innen sind Robert Yen, Nadja Braun Binder, Constantin Pitzen und das NTA-Mitglied Jens Schippl.
Titel |
Hrg. |
Themen |
Automatisierter ÖPNV | Hintergründe und praktische Anleitung zur Umsetzung in kleineren Städten und ländlichen Regionen |
R. Yen, |
Autonomes Fahren, Mobilitätswende, ÖPNV, ländlicher Raum |
Verfügbar als Open Access via: https://publikationen.bibliothek.kit.edu/1000165341 |
Ausgangslage des Sammelbandes ist die Motivation, bis zum Jahr 2035 Klimaneutralität im Verkehrssektor zu erreichen. Eine Schlüsselrolle nimmt dabei der ÖPNV ein, da eine bloße Umstellung des motorisierten Individualverkehrs auf emissionsarme Antriebe nicht ausreichen wird, um dieses Klimaziel zu erreichen. Vor diesem Hintergrund liegt der Schwerpunkt des Sammelbandes auf der Entwicklung des (automatisierten) ÖPNV insbesondere in ländlichen und kleinstädtischen Räumen. „Was unter einem automatisierten ÖPNV zu verstehen ist, welche Auswirkungen automatisiertes Fahren mit sich bringt und welche Anforderungen Verkehrsunternehmen an automatisierte Fahrzeuge haben, wie die Integration eines automatisierten ÖPNV gemacht wird, welche rechtlichen Aspekte […] im Grundsatz zu beachten sind“ (S. VII), sind Gegenstand der vielseitigen Beiträge. Der Band gliedert sich insgesamt in sieben umfangreiche Kapitel. Zunächst wird das Thema an sich beleuchtet, indem Begrifflichkeiten erläutert sowie ein Überblick über die „Entwicklung des automatisierten Fahrens“ gegeben werden. Zudem wird die normative Rahmung des Bandes transparent gemacht und ein Szenario dargelegt, „wie automatisiertes Fahren einen Beitrag zur Mobilitätswende leisten kann.“ (S. 33). Im zweiten Kapitel gehen Lenz et al. auf die Charakteristika des ländlichen Raums ein und arbeiten Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten zu städtischen Kontexten heraus. Dabei gehen die Autor*innen auch auf Themen ein, die nicht nur aus TA-Gesichtspunkten spannend sind. An dieser Stelle sei etwa ein Blick auf die Übersichtskarte empfohlen, welche die „Erreichbarkeit des öffentlichen Nahverkehrs in Deutschland“ für unterschiedliche Regionen illustriert (S. 59, Abb. 2.7). Für TA-Kolleg*innen könnten insbesondere die „Auswirkungen des automatisierten Fahrens“ in Kapitel 3 interessant sein. Dabei gehen Schippl et al. u. a. auf die nachhaltigkeitsbezogenen Herausforderungen des automatisierten und vernetzten Fahrens (avF) ein. Dabei wird beispielsweise das mögliche „Wachstum von Verkehrsnachfrage und Fahrleistung durch avF“ beleuchtet, etwa durch kürzere Reisezeiten, neue Nutzer*innengruppen oder Kostensenkungen (S. 84-85). Weitere Themen umfassen den Bedarf an Infrastrukturen, Folgen des ,Datenhungers‘ und Fragen zum Datenschutz sowie die „Auswirkung auf die Verkehrssicherheit im Mischverkehr“. Des Weiteren werden die Perspektive der Verkehrsunternehmen berücksichtigt sowie gesellschaftsbezogene Aspekte wie Risiken oder Akzeptanz in den Vordergrund gerückt. Letzteres Thema, nämlich die ,Akzeptanz‘, wird gemeinsam mit den Nutzungsanforderungen an einen automatisierten ÖPNV im vierten Kapitel ausführlich diskutiert. Abendroth et al. machen deutlich, dass ein automatisierter ÖPNV vor allem von Fahrgastseite gedacht werden muss. „Mobilitätsangebote umfassen [dabei] die gesamte Customer Journey, d. h. neben der eigentlichen Fahrt sollte der gesamte Prozess aus Sicht eines Fahrgastes von der Planung einer Fahrt bis zum Erreichen des Zielortes betrachtet werden“ (S. 178). Während Kapitel fünf die Planungsseite beleuchtet, werden im sechsten Kapitel die komplexen rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz erläutert. Der Sammelband schließt mit einem „Handlungsleitfaden zur Integration automatisierten Fahrens“. Pitzen et al. nehmen hier u. a. das umgebende Mobilitätssystem in den Blick, in das automatisierte Fahrzeuge eingebettet werden könnten. Beispiele zur Vermeidung von KfZ mit entsprechend positiven Effekten sind etwa „mehr kostengünstige Wohnangebote durch Nutzung entbehrlicher Kfz-Verkehrsflächen“ oder die „Etablierung dezentraler Paratransitangebote durch ein System von Mobilstationen mit Car- und Bike-Sharing-Angeboten“ (S. 272).
Der zweite Sammelband befasst sich mit dem „Homo technologicus“ und fragt nach den „Menschenbilder[n] in den Technikwissenschaften des 21. Jahrhunderts“. Herausgeber sind Kevin Liggieri und Marco Tamborini, der Band erschien bei J.B. Metzler.
Titel |
Hrg. |
Themen |
Homo technologicus | Menschenbilder in den Technikwissenschaften des 21. Jahrhunderts |
K. Liggieri, |
Transhumanismus, KI, Technikforschung, Technikreflexion |
Verfügbar via Springerlink: https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-662-68272-2 |
Kernanliegen des Buches ist „anhand unterschiedlicher Problematisierungen wie Gender, Ort, Begriff oder Experiment“ nachzuzeichnen, „wie sich das Menschenbild in Abhängigkeit von den technikwissenschaftlichen Praktiken verändert (hat). Dabei stecken die Aufsätze unterschiedliche Felder ab, und schaffen so eine Kartierung anthropologischer Aspekte der Technikwissenschaften“ (S. 8). Der Band vereint 12 Beiträge aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Bandbreite reicht dabei von feministisch-geschlechterkritischen Ansätzen (Prietl), über die Analyse von trans- und posthumanistischen Begrifflichkeiten (Henry), bis hin zur Beschäftigung mit dem Menschenbild in Social Media (Gondolf) oder der Selbsttransformation (Sapio). An dieser Stelle soll auf den Beitrag von Martin Sand näher eingegangen werden, der sich mit zwei Kernanfragen auseinandersetzt: „Sind digitale Utopien „echte Utopien“? Und, was ist der Wert solcher Narrative?“ (S. 33). Zunächst geht der Autor auf den Utopie-Begriff an sich ein und vereint dabei drei Merkmale: „Eine Utopie beschreibt einen Zustand, der a) zumindest wünschenswert, vielleicht sogar ideal oder perfekt ist, (b) der nicht notwendigerweise unmöglich, jedoch häufig dicht an der Schwelle zur Unmöglichkeit steht, (c) und der die gegenwärtige gesellschaftspolitische Ordnung kritisiert und in diesem Sinne subversiv genannt werden kann.“ (S. 37) Anschließend werden zwei digitale Narrative herausgegriffen. Hierzu gehört zum einen die Digitalisierung der Medizin, insbesondere wenn es um das Erkennen von Tumoren geht. Zum anderen nennt Sand den Transhumanismus als besonders radikale Vision. Des Weiteren wird die Rolle von sozialkritischen Aspekten in digitalen Utopien diskutiert. Zudem werden Argumente zusammengetragen, die (digitale) Utopien einerseits kritisieren und andererseits für wertvoll halten. Schließlich folgt eine Zusammenfassung mitsamt Ausblick, in der der Autor mit Bezug zu Estlund feststellt, „dass es intrinsisch wertvoll ist, eine bessere Theorie einer gerechten Gesellschaft zu entwickeln. Dieses Argument auf digitale Utopien anzuwenden, hieße zu zeigen, dass es in diesen auch tatsächlich um die gerechte Gesellschaft geht und nicht alleine […] um individuelles Wohlbefinden und Glück.“ (S. 53)
Die dritte und letzte Veröffentlichung, die in diesem Monat vorgestellt wird, trägt den Titel: Patente und Innovationen in der Industrialisierung. Das Buch wurde von Alexander Donges und Felix Selgert verfasst und erschien bei Springer Gabler.
Titel |
Hrg. |
Themen |
Patente und Innovationen in der Industrialisierung | Wie Institutionen den technologischen Wandel in den deutschen Staaten beeinflussten, 1815–1877 |
A. Donges |
Innovation, Patente, Industrialisierung |
Verfügbar via Springerlink: https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-41785-7 |
Laut dem Vorwort (S. VII) war der Ausgangspunkt dieser Arbeit ein Zufallsfund im Karlsruher Generallandesarchiv. Dort fand sich eine Liste mit Patenten, die seinerzeit im Großherzogtum Baden vergeben wurden. Im Zuge eingehender Recherchen konnten weitere Patentdaten im Archiv entdeckt werden, die auch andere „Zollvereinsstaaten“ einschlossen. Diese wurden im Rahmen eines Forschungsprojekts ausgewertet. Das vorliegende Buch ist, neben spezifischen Fachartikeln, ein Produkt dieses Projekts und hat zum Ziel, den thematischen Rahmen weiter zu öffnen und die Ergebnisse im Lichte der Industriellen Revolution zu diskutieren.
Das Buch gliedert sich in sieben Kapitel. Zunächst wird in der Einleitung u. a. die im Buch verfolgte Zielsetzung vorgestellt. Im Kern geht es dabei um eine „quantitative Analyse der Entwicklung und Ausprägung der Innovationstätigkeit in der ersten Phase der Industriellen Revolution“ (S. 2). Zur Operationalisierung von Innovation wird auf Patente zurückgegriffen mit Schwerpunkt auf den Zeitraum 1845-77. Die Analyse findet auf drei Ebenen statt (S. 3): Erstens wird die Makroperspektive eingenommen und gezeigt, „dass ab den späten 1860er Jahren gemessen an den vergebenen Patenten eine Zunahme der Innovationstätigkeit in den deutschen Staaten festgestellt werden kann“. Des Weiteren begeben sich die Autoren auf die Mikro-Ebene und behandeln einzelne Erfinder und Unternehmen. Schließlich werden regionale Aspekte näher beleuchtet. Im zweiten Kapitel gehen die Autoren auf die relevanten „institutionelle[n] und wirtschaftliche[n] Rahmenbedingungen“ ein. Für diejenigen Kolleg*innen, die sich mit Indikatorensystemen beschäftigen, könnte Kapitel drei interessant sein. Wie bereits dargelegt, wird im vorliegenden Band die Innovationsfähigkeit mithilfe von Patentdaten erfasst und beurteilt. Vor diesem Hintergrund werden die Vor- und Nachteile eines solchen Vorgehens erläutert und auch Alternativen diskutiert, wie Datenmaterial aus Weltausstellungen. Kapitel vier bis sechs bilden die bereits oben erwähnten Ebenen ab und stellen die jeweiligen Ergebnisse vor. Diese Befunde werden zudem im siebten Kapitel abschließend wiedergegeben, in den Gesamtkontext eingeordnet und Kernaspekte herausgehoben, bspw.: „In Kap. 5 untersuchen wir, aus welchen sozialen Gruppen die, überwiegend männlichen, Patentinhaber stammen. […] Bemerkenswert ist, dass patentierte Innovationen in fast allen Bevölkerungsschichten zu verzeichnen sind.“ (S. 218) Der Band schließt mit einem Ausblick auf zukünftige Forschungsfelder, wie die Wechselwirkungen zwischen Innovationen und Arbeitsmarkt.
Für die Maiausgabe des NED wurden aus 208 automatisch selektierten Buchtiteln aus dem Datenbestand der Deutschen Nationalbibliothek insgesamt 15 Buchtitel ausgewählt.
Literaturverzeichnis
Binder, Julia; Bembnista, Kamil; Mettenberger, Tobias; Ulrich, Peter; Witting, Antje; Zeißig, Hanna; Zscherneck, Julia (Hg.) (2023): Digitale Pioniere als Schlüsselakteure ländlicher Governance. Kommunale Perspektiven auf das Forschungsprojekt 'DigPion'. Universitätsverlag Potsdam. Potsdam: Universitätsverlag Potsdam (KWI-Schriften, 14).
Cipriano, Tasso Alexandre Richetti Pires (2023): Waste prevention through product ecodesign regulation in Brazilian and EU environmental law: Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG.
Donges, Alexander; Selgert, Felix (2023): Patente und Innovationen in der Industrialisierung. wie Institutionen den technologischen Wandel in den deutschen Staaten beeinflussten, 1815-1877. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.
Ferrari, Francesco; Tacchini, Davide; Villanueva, Laura; Gurstein, Binyamin (Hg.) (2024): Transdisciplinary Approaches on Reconciliation Research. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Fröhlich, Michael (2023): Unterricht zwischen Digitalisierung, Effizienz und kritischem Denken. Leitlinien einer Schule der Zukunft. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich.
Handermann, Daniel Felix (2023): Politische Partizipation. Replikation der "Neuen Taxonomie". Eberswalde: res publica Wissenschaftsverlag Ingo Naumann (Schriften zur Wahl-, Werte- und Einstellungsforschung, 1).
Hauff, Michael von (2024): Grundwissen Circular Economy. Stuttgart, Deutschland: utb GmbH.
Liggieri, Kevin; Tamborini, Marco (Hg.) (2023): Homo technologicus. Menschenbilder in den Technikwissenschaften des 21. Jahrhunderts. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.
Michelsen, Gerd; Barth, Matthias; Fischer, Daniel (Hg.) (2023): Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Hochschule. Wege und Wirkungen am Beispiel der Leuphana Universität Lüneburg. Verlag Barbara Budrich. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich (Schriftenreihe "Ökologie und Erziehungswissenschaft" der Kommission Bildung für nachhaltige Entwicklung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE)).
Schrape, Jan-Felix (2023): Digitale Medien und Wirklichkeit. eine aktuelle Einführung in den operativen Konstruktivismus. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.
Sigl, Katharina (Hg.) (2023): Nachhaltigkeit und Digitalisierung – (k)ein unternehmerisches Dilemma. Zukunftsbilder und Impulsberichte. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.
Tilmann, Thando; Sarkissian, Tamar (Hg.) (2023): 40 perspectives on urban sustainability from around the globe. Compilation of country replies. Berlin: Universitätsverlag der TU Berlin.
Weber, Heike (Hg.) (2023): Technikwenden. Historische Perspektiven auf soziotechnische Um- und Aufbrüche. Nomos Verlagsgesellschaft. 1. Auflage. Baden-Baden: Nomos (Edition sigma, Sonderband 2023).
Wüller, Hanna (2023): Pflege und Technik. empirische Einblicke in Care-Arbeit aus der Perspektive des Agentiellen Realismus. Dissertation (Regensburger Beiträge zur Digitalisierung des Gesundheitswesens, Band 2).
Yen, Robert; Braun Binder, Nadja; Pitzen, Constantin; Schippl, Jens (Hg.) (2024): Automatisierter ÖPNV. Hintergründe und praktische Anleitung zur Umsetzung in kleineren Städten und ländlichen Regionen. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.
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