Riding the Bullet ? Ein Realexperiment über hybride Publikationsmodelle wissenschaftlicher Monographien
... und warum die Wissenschaft meistens genau zielt, aber trotzdem nicht immer trifft
Erinnern Sie sich noch an ?Riding the Bullet?? Diese Kurzgeschichte von Stephen King wurde im Jahr 2000 zum kostenfreien Download im Internet veröffentlicht. 700.000 Leser (oder Downloader) sollen das File heruntergeladen haben. Die Erzählung wurde später in einer Sammlung von Kurzgeschichten als Buch veröffentlicht und ist auch verfilmt worden. Die frei zugängliche Internetveröffentlichung eines so prominenten Autors erregte in der Zeit des damaligen Internet-Hype in den Feuilletons einiges Aufsehen und gilt neben anderen Beispielen als ein Beleg dafür, dass die freie zur Verfügungsstellung von Texten im Internet nicht dem Verkauf gedruckter Ausgaben dieser Werke schaden müsse.
Ob solche ?hybride Publikationsmodelle?, also die Koexistenz von freiem Download elektronischer und kostenpflichtigem Verkauf gedruckter Bücher, auch heute noch und für den Bereich der wissenschaftlichen Bücher funktionieren, hat das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des KIT, das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) und der sozialwissenschaftliche Verlag edition sigma in Berlin (heute Teil des Nomos-Verlags) in einem mehrjährigen Vertriebsexperiment untersucht. Ziel dieses Experimentes war es, der Frage empirisch nachzugehen, wie sich Open Access-Monographien und gedruckte Verlagspublikationen gegenseitig beeinflussen.
- In Bezug auf die Verkaufszahlen wurden Titel aus der Reihe ?Studien des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag? vor Einführung des freien Downloads innerhalb von drei Jahren nach ihrem Erscheinen etwas häufiger verkauft als nach Einführung des freien Downloads. Der Verkaufsrückgang lag bei etwa 20 %. Sondereffekte einzelner Buchtitel sind nicht auszuschließen. Zu beachten ist auch, dass es einen generellen Rückgang der Verkaufszahlen aller wissenschaftlichen Monographien gibt, egal ob ein paralleles freies Online-Angebot zusätzlich zur Verfügung steht oder nicht.
- Das Angebot eines freien Downloads (PDF) hat die Reichweite der Bücher deutlich erhöht. Im Jahr 2012 wurden im Mittel die betrachteten Buchtitel 18-mal öfter von den Servern des TAB und des ITAS heruntergeladen als dass Buchverkäufe getätigt wurden. Interessant ist auch, dass die Zahl der Downloads und die Verkaufszahlen relativ hoch korrelieren. Ob allerdings die Downloads die Buchverkäufe oder umgekehrt die Buchverkäufe die Downloads oder dritte Faktoren sowohl die Downloads als auch die Buchverkäufe beeinflussen, lässt sich daraus nicht ablesen.
- Bemerkenswert sind einige Ergebnisse aus einer Befragung von Personen, die einen Download einer der verfügbaren Buchtitel initiierten: Mehr als die Hälfte wussten nicht, dass der online gefundene Buchtitel auch als gedrucktes Buch bezogen werden kann. Zwei Drittel konnten sich aber prinzipiell den Kauf des gedruckten Buches vorstellen. Als herausragender Vorteil elektronischer Bücher ? egal ob kostenpflichtig oder nicht ? wurde von fast allen Befragten die sofortige Verfügbarkeit genannt.
Vorliegende Untersuchungen zu dieser Fragestellung basieren oft nur auf einzelnen Fallbeispielen (siehe Stephen Kings ?Writing the Bullet?), geringen Fallzahlen mit geringer Aussagekraft oder sind methodisch fragwürdig. Methodische Probleme traten auch, wie nicht anders zu erwarten, bei diesem ?Realexperiment? auf. Neben den auch hier relativ geringen Fallzahlen ist es insbesondere die Komplexität der Faktoren, die im Untersuchungsdesign nicht völlig auf ihre Wirkung kontrolliert werden können.
Ulrich Riehm: Hybrides Publizieren wissenschaftlicher Bücher. Ein Realexperiment über den Vertrieb kostenpflichtiger, gedruckter und online frei zugänglicher Monographien
(KIT Scientific Working Papers 43)
Karlsruhe: KIT 2016
http://dx.doi.org/10.5445/IR/1000058969
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